Leonard Nelson, 1882 in Berlin geboren, entstammt einem liberalen Elternhaus. Sein Vater Heinrich Nelson, jüdischer Herkunft, ist Justizrat; seine Mutter Elisabeth stammt aus den Familien des Komponisten Felix Mendelssohn-Bartholdy und des Mathematikers Lejeune Dirichlet. Im gastfreundlichen Haus der Eltern verkehren unter anderem der Historiker Wilamowitz, der Philosoph und Soziologe Georg Simmel und der Physiologe Du Bois-Reymond. Leonard Nelson besucht in Berlin das Königliche Französische Gymnasium. Die Atmosphäre in der Schule ist für ihn durch Zwang und vor allem durch den Mangel an wahrer geistiger und körperlicher Beschäftigung geprägt. Er empfindet die Schule als drückend und geistlos. Seine Interesse für Philosophie wird entscheidend durch ein Buch, welches er zur Konfirmation bekommt, beeinflusst. Dieses Buch Kulturgeschichte des Neunzehnten Jahrhunderts von Ernst Halliers, einem bedeutenden Botaniker, enthält einige Kapitel über Kant und die damals praktisch vergessenen Philosophen Jakob Friedrich Fries (1773-1843) und dessen Schüler Ernst Friedrich Apelt (1812-1859). Die Philosophie von Fries fasziniert Nelson. Er besorgt sich dessen Bücher und versucht auch Schriften aus dessen Nachlass einzusehen, wozu ihm Nachkommen von Fries, die er aufspürt, verhelfen. Hierbei lernt er den Sohn von Ernst Friedrich Apelt kennen, Otto Apelt, den bekannten Platon-Übersetzer, mit dem er fortan zusammenarbeitet. Im Jahre 1903 gründet Nelson die „Neue Fries’sche Schule“, später „Jakob-Friedrich Fries Gesellschaft“ genannt, für die er eine große Zahl anerkannter Wissenschaftler gewinnt (vgl. Loska 1995, S. 132 f.). Nach vier Jahren Studium promoviert Nelson 1904 in Philosophie und Mathematik. 1909 habilitiert sich Nelson an der mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Göttingen. 1919 wird Nelson in Göttingen zum außerordentlichen Professor ernannt. Doch Nelson verfolgt nicht nur wissenschaftliche Interessen.

In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg ist er in verschiedenen politischen Zirkeln tätig. Er engagiert sich vor allem bei politischen Bildungsveranstaltungen, an denen Arbeiter und Akademiker gleichermaßen teilnehmen. Hierbei arbeitet Nelson eng mit dem liberalen Historiker Wilhelm Ohr zusammen. Mit ihm bestreitet er zahlreiche politische Veranstaltungen für die Liberalen. Nelsons Beschäftigung mit Politik führt ihn vom Liberalismus zu einem eigenständigen Sozialismus nicht marxistischer Orientierung, einem liberalen Sozialismus auf ethischer Grundlage, den er von seiner sich in der Tradition Kant-Fries verstehenden Philosophie herleitet. Am Tag vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges (1914-1918), hält Nelson eine staatspolitische Vorlesung, in der er die Idee eines Völkerbundes anklingen lässt. Durch den Eindruck des massenhaften kriegerischen Mordens und des umgreifenden Nationalismus, wird Nelson in seinen pazifistischen Überzeugungen gestärkt und es drängt ihn immer mehr, nach Wegen zu suchen, wie eine vernünftige Friedensordnung auf den Weg gebracht werden kann (vgl. Siebert 1996, S. 17 f.).

Gemeinsam mit der Pädagogin Minna Specht gründet Nelson 1917 den „Internationalen Jugendbund“ (IJB). Ziel des IJB ist es, junge Menschen in dieser Gemeinschaft zu zielbewusstem Wirken im öffentlichen Leben heranzubilden. Nelson zieht damit Konsequenz aus seiner während des Krieges gewonnen Überzeugung, dass die sogenannten Gebildeten von der Aufgabe überfordert sind eine Gesellschaft, die auf Vernunft aufgebaut ist, zu gestalten. Seine ganze Hoffnung liegt in der Arbeiterbewegung. Die Mitglieder des IJB werden zur aktiven Mitarbeit in einer der Arbeiterparteien verpflichtet. Nelson wird Mitglied der USPD. Nach der Vereinigung der USPD und der SPD im Jahre 1922 sind alle Mitglieder des IJB in der tätig aktiv politisch tätig. Nach längerer Planung gründet Nelson 1922 die Philosophisch-Politische Akademie (PPA). Zu den Aufgaben der PPA gehören die Veröffentlichung von wissenschaftlichen Texten und die wissenschaftliche Fundierung der politischen Aktivitäten des IJB (a. a. O.; zum politischen Leben in der Weimarer Republik: vgl. Engelmann 1998).

Im Rahmen seines politisch-pädagogischen Wirkens gründet Nelson 1924 gemeinsam mit der Pädagogin Minna Specht das Landeserziehungsheim „Walkemühle“. Der Schulbetrieb beginnt am 01. Mai 1924 unter der gemeinsamen Leitung von Minna Specht und Ludwig Wunder. Nach einem Streit zwischen Nelson und Wunder leitet Minna Specht die Walkemühle allein im Sinne Nelsons (zur Theorie und Praxis der Erziehung bei Nelson und seinen Mitarbeitern: vgl. Ziechmann 1970). Neben Bildungsarbeit für Kinder werden mehrjährige Kurse für Erwachsene durchgeführt. In verschiedenen Organisationen der Arbeiterbewegung findet dieses Engagement Nelsons und seiner Mitstreiter Anklang. In der SPD wächst aber durch Nelsons Kritik am Marxismus und der Demokratie sowie durch die Rigorosität seiner Ansichten Misstrauen. Nach einer missglückten Aussprache werden Nelson und alle Mitglieder des IJB aus der SPD ausgeschlossen. Daraufhin konstituiert sich der IJB unter dem Namen „Internationaler Sozialistischer Kampfbund“ (ISK) als selbständige politische Organisation, deren Funktionäre in der Erwachsenabteilung in der Walkemühle geschult werden. Nelson früher Tod, am 29. Oktober 1927, lässt nicht zu, dass er seine Bildungskonzeption ausreichend selbst hat prüfen können.